Stefans Abenteuer im Land der fehlenden Berge und in der Physik
Über mich
StefanIch bin seit Juni 2007 Doktorand an der TU Delft, Niederlande. Neben (theoretischer) Physik interessiere ich mich für Politik, Bücher aller Art und Radfahren. Für weiteres, siehe meine Homepage.

Sonntag, 21. Februar 2010

Zu "Schön" um wahr zu sein

Im Wintersemester 2002/2003 hörte ich Festkörperphysik bei Prof. Bucher in Konstanz. Prof. Bucher war damals das wohl prominenteste Mitglied des Fachbereichs Physik, mit etlichen Weltrekorden auf dem Gebiet der Solarzellenentwicklung. Leider lief ihm damals einer seiner ehemaligen Doktoranden -- Jan Hendrik Schön -- als berühmtester Physiker mit Konstanz-Connection den Rang ab. Und das war nicht gut, denn Schön wurde dadurch prominent, dass er -- um ein sehr stark strapaziertes Wortspiel zu benutzen -- Daten geschönt hatte. Immerhin brachte es ihm so eine Prominenz ein, dass es jetzt sogar ein Buch über den von ihm verursachten Forschunsskandal gibt (Eugenie Samuel Reich: Plastic Fantastic).

Schön promovierte 1997 in Konstanz und wechselte dann zu den Bell Labs in New Jersey. Die Bell Labs haben (vielleicht muss man eher sagen "hatten") einen beinahe mysthischen Ruf: So wurde dort zum Beispiel die Radioastronomie begründet (Jansky, 1932), der Transistor entwickelt (Shockley, 1947) und die kosmische Hintergrundstrahlung entdeckt (Arno und Penzias, 1962). Also kurz: ein großartiger Schritt für einen frisch gebackenen Doktor der Physik. Jedoch waren die Bell Labs Ende der neunziger, Anfang der 2000er Jahre in einer tiefen Krise, nachdem sie erst von AT&T an Lucent verkauft, dann weiter aufgespalten wurden und die Grundlagenforschung mehr und mehr zurückgefahren wurde.

Es ist schwer zunächst schwer zu begreifen, wie es Schön gelang nicht nur die Fachwelt, sondern selbst seine Koautoren hinters Licht zu führen. Aber im Laufe des Buchs wird es einem klar, dass Schön geschickt Lücken nutzte und eben Ergebnisse lieferte, die einfach erstklassig zu sein schienen. Ich kann mir gut vorstellen, dass seine Vorgesetzten bei den Bell Labs jede Meldung liebend für ihre Zwecke nutzten -- um eben in wirtschaftlich schweren Zeiten weiterhin die Grundlagenforschung zu rechtfertigen. Auch nutzte Schön weiterhin Ausrüstung in Konstanz, um einen entscheidenden Bearbeitungsschritt durchzuführen (das Aufbringen der elektrischen Kontakte auf die Kunststoffkristalle, die er untersuchte) . Auf jeden Fall hatten seine Aktivitäten in Konstanz den netten Nebeneffekt, dass er dort ungestört arbeiten konnte -- oder besser gesagt fälschen konnte, denn der in Konstanz durchgeführte Bearbeitungsschritt stellte sich als fiktiv heraus. Denn offiziell war er ja nicht mehr Mitglied am Lehrstuhl Bucher noch arbeitete er an relevanten Fragen für diesen. Und da seine Mitautoren in New Jersey in den Bell Labs sassen, war auch die Wahrscheinlichkeit gering, dass einer von ihnen mal vorbeischauen würde -- "show me how it works, buddy". Kurz gesagt, eine ideale Konstellation um Forschung zu fälschen.

Schön's Fehlverhalten wurde -- wie so oft bei unehrlichem Verhalten -- durch eine gute Mischung von Übertreibung und Nachlässigkeit von Seiten Schöns bemerkt. Zum einen veröffentlichte er bis zu sieben (!) Artikel im Monat -- größtenteils in den sehr angesehen Zeitschriften Nature und Science --, zum anderen beging er offensichtliche Nachlässigkeitsfehler bei seinen Fälschungen, z.B. benutzte nicht zutreffende theoretische Modelle um seine "Meßdaten" zu fabrizieren oder nutzte die gleichen Messwerte für total verschiedene Experimente. Also Dinge, die einfach den Experten früher oder später auffallen mussten.

Leider, aber das geht wohl nicht anders da natürlich Schön für dieses Buch nicht zur Verfügung stand, erfährt man relativ wenig über ihn und seine Gedanken und Motive. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass er darauf spekulierte, dass seine Ergebnisse von anderen reproduziert würden und er quasi als Pionier eines Fachgebiets in die Geschichte eingehen würde. Doch muss ihm aber auch von Anfang an klar gewesen sein, welche Risiken sein Verhalten trägt. Von den schlaflosen Nächten, die ich wegen meiner (ehrlichen!) Forschungsarbeit habe, gehe ich davon aus, dass er unter enormen Stress gestanden haben muss -- wenn zu den üblichen Sorgen ("Macht es Sinn, was ich mache?", "Hat das schon jemand gemacht?" etc. etc.) noch die Angst vor der Aufdeckung hinzukommt.

Das schlimmste an Forschungsskandalen ist meiner Meinung nach nicht das Verbreiten falscher Resultate, denn das wird früher oder später -- wenn sich die Experimente nicht reproduzieren lassen -- aufgedeckt, sondern darin, dass wissentlich die Karrieren von anderen Wissenschaftler geschadet wird. Denn Fälschungen wie die von Schön führen dazu, dass etliche Doktoranden buchstäblich Jahre darauf verwenden, Ergebnisse zu reproduzieren, die es noch nie gab. Mit allen Konsequenzen wie Frustration, wenigen Publikationen und so weiter.

Was noch ganz nett an Reich's Buch war, ist dass etliche Leute darin auftauchen, die ich kenne. Neben Prof. Bucher noch Prof. Dieterich in Konstanz(er leitete die Konstanzer Untersuchungskommission, ich habe bei ihm meine Diplomprüfung abgelegt) sowie Leo Kouwenhoven und Teun Klapwijk in Delft. Und Schön? Das letzte mal war er in den Nachrichten, als die Universität Konstanz letzten Herbst beschloss, ihm endgültig den Doktortitel abzuerkennen -- nicht, weil er bei seiner Doktorarbeit schon gefälscht hatte, sondern weil er sich des Tragens des Titels als unwürdig erwiesen hat. Und das hat er in der Tat.
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Eugenie Samuel Reich: Plastic Fantastic -- How the biggest fraud in physics
shook the scientific work

Oder auch: Andrea Neica-Loebell, Schön die Wissenschaft zum Narren gehalten, Telepolis (2002)

Donnerstag, 4. Februar 2010

Eine Delfter Erfindung

Es gibt Erfindungen, die wohl nur in gewissen Ländern gemacht werden können. Denn woanders würde die Idee wohl als totale Rotzidee der Selbstzensur zum Opfer fallen. Wie zum Beispiel diese Erfindung, die wohl nur in den Niederlanden gemacht werden konnte:

Ein Frachtfahrrad (siehe auch vrachtfiets.nl), mit dem man seinen Möbeleinkauf nach Hause fahren kann. Denn was machen die Leute, die Umziehen wollen aber weder einen Führerschein noch Freunde mit einem selbigen haben? Das war wohl die Ursprungsfrage, die zu dieser praktischen aber doch sehr niederländischen Erfindung zweier Industriedesign-Studenten meiner Uni geführt haben muss.