Stefans Abenteuer im Land der fehlenden Berge und in der Physik
Über mich
StefanIch bin seit Juni 2007 Doktorand an der TU Delft, Niederlande. Neben (theoretischer) Physik interessiere ich mich für Politik, Bücher aller Art und Radfahren. Für weiteres, siehe meine Homepage.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Hora est

Hora est. Time's up. De tijd is verstrecken. Fertig. Aus.

Seit 11 Uhr bin ich Doktor -- denn da kam die freundliche Pedel (Protokollarbeamtin der Uni) mit ihrem Zeremonialstab in den Raum, rammte ihn ein paar mal auf den Boden und es war "Hora est". Und die Prüfung war rum und fünfzehn Minuten später kam meine Prüfungskomission mit meiner Doktorurkunde zurück. Da ich noch immer unter einem ziemlichen Adrenalinrausch stehe (Doktorprüfungen geben anscheinend einen besseren Kick als alles andere,was ich kenne) und daher die Gefahr besteht Sachen zu schreiben, die ich ganz bei Sinnen nie schreiben würde, mach ich jetzt hier Schluss.

P.S.: Bitte sprecht mich in Zukunft ja nicht mit Dr. Bretzel an. Ich bin, war und werde immer der Stefan bleiben.

P.P.S: Heute Abend schmeiss ich für meine Kollegen und Freunde ne Party in Delft. Die Tradition will es, dass sie einen Beitrag (meistens Quiz) vorbereiten, in dem ich ordentlich durch den Kakao gezogen werde. Bin schon gespannt darauf.

Freitag, 3. Juni 2011

Seit vier Jahren im Flachland (al vier jaar leef ik in het Nederland)

Am 28. Mai hatte ich meinen vierten In-die-Niederlande-ziehen-Jahrestag. Dazu ein paar Dinge, die ich in den letzten vier Jahren hier gelernt habe:
  1. Für mein seelisches Wohlbefinden sind die Sicht auf Hügel, von Bergen will ich ja gar nicht erst sprechen, unverzichtbar. Leider sind diese hier nahezu unbekannte geographische Objekte. Gut, eigentlich hätte ich ja gewarnt sein können, denn die Niederlande sind ja nicht gerade bekannt für ihre Bergketten (oder hat schon mal jemand vom Utrechter Zentralmassiv gehört?).

  2. Gutes Brot in den Niederlanden zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist, so habe ich es in den letzten Jahren gelernt, ein typisches Statement eines deutschen Expat. Nichts geht über gutes Brot und sachdienliche Hinweise, wo man eben solches finden könnte, werden in den entsprechenden Kreisen hoch gehandelt.

  3. Nederlandse Appeltaart met Slagroom ist einfach die definitive Version von Apfelkuchen. Sorry, Mama.

  4. Nichts macht einen mehr seine ethnische Herkunft bewusst als in einer Umgebung zu leben, in der fast niemand diese mit Dir teilt. Beispiel gefällig? In Deutschland war es nie ein Thema, dass ich kein Bier trinke. Hier werde ich oft mit den Worten "this is Stefan from Germany. And guess what, he doesn't drink beer" vorgestellt. Dass man als Deutscher kein Bier mag, scheint bei den meisten Leuten eine kognitive Dissonanz allererster Güte auszulösen.

  5. Kellner in belgischen Bierkneipen nehmen es einem nicht übel, wenn man immer nur Cola bestellt.

  6. In der indonesischen Küche gibt es nur drei Schärfegrade: Verdammt scharf, kriminell scharf und durch die UNO Chemiewaffenkonvention verboten scharf (für praktische Demonstrationen zu diesem Thema geht dank an Tungky).

  7. Die Niederländer sind geiziger als Schwaben und stolz darauf. Manche gehen sogar so weit zu behaupten, dass sie selbst mit ihrem Date die Rechnung auf den Cent genau aufteilen würden. Angeblich ist der Ausdruck "going Dutch" (getrennt bezahlen) in den USA gang und gäbe -- so geläufig, dass alle Amerikaner, die nicht in den Niederlanden leben, diesen Ausdruck nicht kennen (oder so zumindestens meine praktischen Feldforschungen).

  8. Die Niederländer haben die deutschen Untaten im zweiten Weltkrieg schon lange verziehen -- ausser, dass die Deutschen ihre Fahrräder geklaut haben. "Waar is mijn fiets?" oder "Ik wil mijn fiets terug" bzw. Anspielungen darauf habe ich genug gehört (dank geht hiefür an meinen ewigen Büromitbewohner Marnix).

  9. Deutsche Unimensen sind viel besser als man als Student immer dachte. Denn alle zwei Wochen Kässpätzle für 2 Euro 50 ist nichts im Vergleich zu täglich die gleiche Frikadelle für drei Euro. Daher bin ich in den letzten Jahren zum Vesperbrotmitbringer mutiert.

  10. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, lange Distanzen mit der Bahn zu fahren und mit maximal einer Stunde Verspätung anzukommen.

  11. Auch in den Niederlanden gibt es einen Bible Belt -- dort wohnen die Leute, deren Vorfahren vor dreihundert Jahren das Schiff nach Pennsylvania verpasst haben.

  12. Das Englischniveau eines durchschnittlichen Deutschen im Vergleich zum durchschnittlichen Nederlander: Abgrundtief schlecht (daher: It's a long way -- start walking).

  13. Die Geldkarte (dieser Chip auf der Bankkarte, der in Deutschland von niemandem benutzt wird) kann man tatsächlich für Bezahlungen benutzen.

  14. Durchschnittlich wird einem 0.25 Fahrräder pro Jahr geklaut (so zumindestens das Ergebnis meines langjährigen Selbstversuchs -- seit zwei Wochen bin ich Fussgänger)

  15. Je mehr Sprecher eine Sprache hat, desto grösser die Paranoia derselben, dass Englisch in allernächster Zukunft ihre Sprache verdrängen wird.

  16. Der Geburtstag der Monarchin wird nicht an ihrem Geburtstag gefeiert.

  17. In den Niederlanden sieht man keine Wohnwägen mit niederländischen Kennzeichen -- im Gegensatz zum Rest von Europa.

  18. Technische Universitäten sind nicht gerade für ihr ausgewogenes Geschlechterverhältnis und lebendiges Kulturleben bekannt.

  19. Und zu guter Letzt: Ich hätte die Uni verlassen sollen, so lange es mir noch Spass machte.

Dienstag, 31. Mai 2011

Mal wieder (langsam hab ich Routine drin)

Zur Information der Allgemeinheit: Ich bin mal wieder umgezogen -- leider konnte ich den Plan, mein nächster Umzug würde mich wieder zurück nach Deutschland führen, doch nicht in die Tat umsetzen. Denn, erstens kommt es nicht so wie man zweitens denkt. Geplant war, dass Nestor, Joost und ich bis zum Ende meiner Promotion bzw. Joost's Master in unserer WG bleiben. Doch da kam der Geschäftssinn unseres Vermieters dazwischen. Sein Plan: Man nehme unseres schickes (inzwischen Ex-)Wohnzimmer, ziehe eine Wand ein und mache daraus zwei weitere Räume. Da in Delft auch die allerkleinsten Hasenställe noch dankbare Studenten als Mieter finden, wohl ein Plan der ihm ein paar hundert Euro mehr im Monat einbringt -- uns jedoch wieder auf Wohnungssuche geschickt hat.

Nun, Wohnungssuche ist in Delft/Den Haag ein Alptraum. Erstens gibt es wenig bezahlbare Angebote, die ihr Geld auch wert sind (200 Euro für ein 6m^2 Zimmer -- kein Problem). Zweitens läuft hier fast nichts ohne Makler. Ergo, eine Monatsmiete geht als Kommission drauf. Wobei ich hier dieses mal extremes Glück hatte: via kamernet.nl, einem studentischen Wohnungsmarkt, hab ich jetzt nämlich ein Zimmer wieder direkt in der Altstadt gefunden. Ohne Maklergebühren. Leider ist es wieder so ein Zimmer in einem unrenovierten Altbau (Isolierung, war da was?) in einem typischen holländischen studentehuis. Sprich, ich teile Küche und Bad mit Mitbewohnern. Nicht so schlecht, aber abgesehen vom Badteilen scheint es kein wirkliches WG-Leben zu geben (meine Vormieterin konnte mir z.B. nichts über ihre Mitbewohner sagen -- das spricht ja Bände). Eigentlich hatte ich mir vor zwei Jahren geschworen, nie wieder in ein solches zu ziehen. Aber naja. Für ein paar Monate wird's wohl reichen.

Wenn ich es jetzt recht gezählt habe, ist das jetzt mein neunter Umzug in zehneinhalb Jahren. Positiv daran ist, dass ich jetzt schon beinahe im Schlaf meine Möbel demontieren kann. Die schlechte Seite daran ist, dass Billigmöbel häufiges umziehen nur bedingt verzeihen -- mein Bett konnte ich nach diesem Umzug nur mit viel Überredungskunst dazu überreden sich wieder einigermassen stabil zusammenbauen zu lassen.

Edit: Nur ein paar Minuten nachdem ich diesen Eintrag gepostet hatte, klingelte das Telefon. Am Apparat, ein besser anonym bleibender Immobilienmakler, den ich vor gut anderthalb Monaten wegen einer Wohnung per Mail kontaktiert hatte. Ja, also sie hätten erst jetzt meine Mail gesehen und wenn ich wollte, dann könnte ich morgen mir die besagte Wohnung anschauen. Dankend lehnte ich ab. Denn für solch prompten Service eine Monatsmiete Kommission zu zahlen, sehe ich schon gar nicht ein (abgesehen davon, dass ich keine neue Wohnung mehr brauche).

Sonntag, 27. Februar 2011

Schweizer sind auch überall

Wenn man längere Zeit im Ausland ist, wird man irgendwann in linguistischer Hinsicht paranoid: Hin und wieder glaubt man, dass man gerade einen Fetzen Deutsch aufgeschnappt hat. Meistens ist das natürlich nicht der Fall (außer man stellt sich auf den Standpunkt, Niederländisch sei nur durch den Mixer gejagtes Deutsch -- in diesem Falle höre ich es ständig), hin und wieder aber doch. So gestern, als ich auf dem Weg ins Fitnessstudio war. Da laufe ich im Bahnhof von Den Haag an einem indisch aussehenden Mann vorbei und glaube -- genau -- Schwitzerdütsch zu hören. Das löst natürlich eine kognitive Dissonanz allererster Güte aus. Ein Inder oder indischstämmiger Mann in Den Haag zu sehen an sich ist ja nichts besonderes (die Holländer haben ja tausende Inder während ihrer Kolonialherrschaft nach Surinam "importiert", welche dann seit der Unabhängigkeit in die Niederlande übersiedelten). Aber dass ein solcher Mensch in Den Haag am Bahnhof ein Handygespräch im tiefsten Schitzerdütsch führen soll -- nein, da passt etwas nicht zusammen. Also bleibe ich stehen und höre nochmal genau hin. In der Tat: Es ist Schweizerdeutsch. Es geht im Gespräch anscheinend darum, dass er mit dem Velo (strike!) nach Den Haag uffi (strike!) gegangen ist und jetzt am Bahnhof auf dem Perron (strike!) auf weiss-gott-wen wartet. Ich bin also noch nicht paranoid sondern nur über einen sehr pathologischen Sonderfall gestolpert: ein indischstämmiger Schweizer in den Niederlanden -- die Globalisierung macht's möglich.

Montag, 24. Januar 2011

Alle Jahre wieder

Holländische Physiker müssen Bosonen sein, denn wenn es besonders kalt wird -- das heisst so ungefähr in der dritten Januarwoche -- finden sie sich schlagartig alle im gleichen Grundzustand, dem "FOM-Tagungszustand", wieder. Der Experte bezeichnet diesen Vorgang bekanntermassen als "Bose-Einstein-Kondensation". So auch dieses Jahr. Nach einem montäglichen Posterausdruckmarathon (inklusive "Hilfe, das Papier geht aus"-Drama) ging es dann Dienstags nach Veldhoven, einem Vorort von Eindhoven, zu den alljährlichen FOM-Tagen (Stichting FOM -- Stichting Fundamenteel Onderzoek der Materie, ist die holländische Forschungsorganisation die viele, unter anderem auch meine, Doktorandenstellen finanziert). Darüber, ob nun Veldhoven an sich eine Reise Wert ist, kann ich auch nach meinem vierten Besuch noch nicht qualifiziert beurteilen. Denn alles was ich bisher dort gesehen habe, ist das Tagungshotel. Und selbst dort entdecke ich jedes Jahr noch unbekannte Flügel. Nun ja, die FOM-Tage sind riesig, ungefähr 1500 Teilnehmer, also eigentlich alles was in den Niederlanden lebt und grob weiss, was Physiker so machen (die machen doch so was mit Atombomben, richtig?). Aber ich mag die FOM-Tage, denn 1) sie sind wahrlich Fächerübergreifend und 2) man trifft manche Bekannte nur einmal im Jahr und zwar dort.

Auch dieses Jahr habe ich mich ein paar mal aus den Nano- bzw. Festkörperphysik-Sessions rausgeschlichen um ein bisschen bei den Teilchenphysikern bzw. Fusionsforschern reinzuhören. Dabei fällt auf, wie viel geplanter die Forschung dort abzulaufen scheint. So wissen die Leute am CERN ganz genau, dass sie bis Ende des Jahres entweder das Higgs-Boson gefunden haben werden (ganz große Klasse, Nobelpreise für alle) oder aber wenigstens eine neue Obergrenze für die relevanten Parameter publizieren können (auch nett, aber diesmal keinen Nobelpreis). Ähnlich bei den Fusionsforschern, die auch eine ganz klare Roadmap haben: Noch zehn Jahre an JET rumspielen und den ITER bauen und dann das erste kommerzielle Fusionskraftwerk im Jahr 2035. Damit ist Fusionsenergie, nachdem sie sechzig Jahre lang stets fünfzig Jahre entfernt war, "nur noch" 25 Jahre entfernt. Mal sehen.

Definitives Highlight war der Abendvortrag am Dienstag. Bei Abendvorträgen spricht ein ehrwürdiger Forscher zum Plenum über sein Forschungsgebiet, und da liegt die Krux. Denn nicht alle Top-Forscher sind dazu in der Lage, ein Publikum nach langer Anfahrt, neun Stunden Konferenz und anschliessendem Abendessen noch zu fesseln (ein Beispiel hierzu sei der Sprecher von letztem Jahr, ein besser namenlos bleibender Nobelpreisträger). Doch nicht so Andrei Geim, der diesjährige Sprecher und nebenbei auch der Gewinner des diesjährigen Nobelpreises. Erst einmal, wofür bekam Geim den Preis: Geim hat Graphen entdeckt, was eine einatomige Lage aus Graphit ist -- genaugenommen sieht es, wenn man sich die Molekülstruktur anschaut, fast so aus wie ein Maschendrahtzaun. Graphen hat einige tolle Eigenschaften, die in Zukunft wohl in der Elektronik verwendet werden. Aber im Moment ist Graphen vor allem noch das Spielzeug vieler meiner Kollegen. Geims Vortrag (angeblich derselbe, den er in Stockholm gehalten hat) war dann ziemlich biographisch. Wie er aus Russland via die Niederlande schlussendlich nach Manchester gelangte und wie er oft durch Spielereien (er nennt sie "Friday Night Experiments") vielleicht nicht immer bedeutende Sachen entdeckte. So zum Beispiel die Sache mit dem Frosch: Jeder Stoff entwickelt ein magnetisches Moment, wenn man ihn ins Magnetfeld bringt (Pauliparamagnetismus). Nur normalerweise ist dieses klein und vernachlässigbar. Nicht jedoch, wenn man so ein richtig starkes Magnetfeld hat -- Geim hat dies demonstriert, in dem er einen Frosch im Magnetfeld schweben liess. Aber, um Tierfreunde zu beruhigen:
Before the animal rights activists in the audience start complaining: Let me assure you, the frog survived the experiment unharmed and was later happily reunited with his fellow frogs in the anatonomy course.
Dieses "Friday Night Experiment" gab zwar noch nicht den Nobelpreis, aber immerhin den Ig-Nobelpreis (für Forschungen, die einen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen). Aber das ultimative "Friday Night Experiment" war dann wohl die Entdeckung von Graphene selbst, denn was ist Graphen? Eigentlich ist es ja nur eine Atomlage Graphit (also.. ähem.. Kohle). Wenn man diese einfach mit einem Klebeband abziehen könnte... Um eine lange Geschichte kurz zu halten: In der Tat, bis heute stellt man Graphene mit der "scotch tape method" her, sprich man pappt Tesafilm auf ein Graphitkristall, zieht ihn ab und hofft, dass man dabei nur eine Atomlage Kohlenstoff mitnimmt. Scheint zu funktionieren. Einen Nobelpreis für kreative Anwendung von Tesafilm, simpler geht's nicht mehr.